zweifelturm
Freitag, 19. April 2013
Bettina & Christian: Warum das nicht gut gehen konnte. Eine hobbypsychologische Analyse, die ich vor einem Jahr schrieb.

Vor etwa fünfzehn Monaten, auf dem Höhepunkt der Affäre um Christian Wulff, habe ich einen Artikel geschrieben, in dem ich versucht habe, eine Erklärung für Wulffs irrationales, wenig präsidiales Verhalten zu finden. Es war ein zugegebenermaßen etwas hobby-psychologischer Text, der die Ursachen in seiner Beziehung sah. Die von mir angefragten Zeitungen wollten den Artikel damals nicht drucken. Denn, so erklärte ein Redakteur, ohne die Erwähnung der kursierenden Rotlicht-Gerüchte könne man den Text schlecht bringen, mit den Gerüchten aber ebenfalls nicht. Nun sind die Gerüchte vom Tisch, die Wulffs getrennt – und ich hab es wie immer schon immer gewusst:

Der Rock-‘n‘-Roll-Präsident
Eine These: Der Bundespräsident hat sich in Affären verfangen, weil er versucht, etwas darzustellen, was er nicht ist.

„Weise sein und lieben vermag kein Mensch.“
Shakespeare, Troilus und Cressida III, 2

Kürzlich waren in den Medien Bilder Christian Wulffs zu bewundern, wie er mit seiner Frau Bettina im Skiurlaub weilt: Lässig hat er die Ski geschultert, statt Skihosen trägt er Jeans. In Jeans Ski fahren – das kenne ich, dachte ich. Das habe ich mit Anfang zwanzig auch gern gemacht. Es diente damals natürlich nur einem Zweck (denn genau genommen ist es so sinnvoll, wie im Anzug zu joggen): cool zu sein und den Frauen zu imponieren.

Vielleicht, dachte ich, ist das ja der Schlüssel zur Wulff-Affäre, Sinnbild dessen, was den Bundespräsidenten die ganze Zeit treibt. Die These: Christian Wulff hat sich eine Frau gesucht, die zwar vielleicht nicht eine Nummer zu groß für ihn ist (denn Größe ist eine schwierige Kategorie in der Liebe), die aber zumindest nicht zu ihm passt. Nun ist er beständig bemüht, ihr zu imponieren; ihr zu beweisen, dass er tatsächlich der ist, den sie sich damals ausgesucht hat.

Es ist bereits verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass Wulff durch seine Frau eine Seite an sich entdeckte, die er bis dahin nicht kannte: „Staunend betrachten vor allem jene die Wandlung des Christian Wulff an der Seite seiner Bettina, die ihn als eher biederen, ein wenig intriganten Provinzpolitiker kennengelernt haben“, schreibt die Frankfurter Rundschau . Und im Stern heißt es, der Glanz seiner Gattin strahle ab auf ihn: „Wulff gibt sich gelöster. Zeigt sich in Jeans und tanzt plötzlich ausgelassen auf öffentlichen Veranstaltungen. Er, der in seinem Kinderzimmer ein Poster von Helmut Kohl hängen hatte, wirkt an ihrer Seite jetzt ein bisschen cool.“

Wulff hat den Rock ‘n‘ Roller in sich entdeckt (um nicht zu sagen: den Jeans-Skifahrer) – das ist für ihn befreiend und treibend zugleich. Denn diese Seite seiner Persönlichkeit gilt es nun zu bewahren, seiner Frau und sich immer wieder zu zeigen.

Eine These, die ein bisschen platt beziehungsweise boulevardesk ist, meinen Sie? Doch die Frage ist schon, wie ein an und für sich vernunftbegabter und machtbewusster Mann wie Christian Wulff sich in solch eine Situation bringen konnte – und immer wieder neu bringt. Wie ihm so sehr die Maßstäbe verrutschen konnten, nennen wir es eine hormonelle Verschiebung der Werte. Auffällig ist allemal, dass praktisch keiner der Vorwürfe gegen ihn aus der Zeit seiner ersten Ehe datiert (es wäre interessant zu erfahren, wie seine geschiedene Frau ihn gerade erlebt), sondern ausschließlich aus der Zeit mit Bettina: Luxusurlaube auf Mallorca, Sylt und in Florida, Upgrades beim Fliegen, ein gesponserter Wagen, das Einladen von Freunden auf gesponserte Partys. Ein aufwändiger Lebensstil scheint nicht nur Begleiterscheinung, sondern konstituierender Bestandteil dieser Beziehung zu sein. Der Versuch Christian Wulffs, den Glanz und Glamour, den seine Frau ihm verleiht, in Form von Luxus zurückzugeben (und vielleicht ist es dabei ja noch eindrucksvoller, das schnöde Mammon für diesen Lebensstil nicht selbst zu besitzen, sondern ihn dank des eigenen Renommees zu genießen). Das Ganze hätte also weniger mit Schnäppchen-Mentalität oder Raffgier zu tun als vielmehr mit Statusfragen. Und zu diesem Status gehört auch die Bekanntschaft mit den Reichen und Schönen – mit Managern, Filmschaffenden, einem Partykönig.

Vielleicht sei CDU-Mann Christian Wulff nicht der charismatischste Bundespräsident, schrieb der Stern nach seiner Wahl, seine Frau Bettina jedoch „definitiv eine erstklassige First Lady.“ Und um so eine Klassefrau gilt es natürlich zu kämpfen, gerade wenn man in Sachen Ausstrahlung nicht mithalten kann. (Mir fällt der Satz eines Paartherapeuten ein, den ich vor Jahren mal in einem Interview hörte: „Je mehr Traumfrau, desto höher der Preis.“) So ließen sich auch die Drohanrufe bei Bild-Chef Kai Dieckmann und Springer-Vorstand Mathias Döpfner erklären. Ruhig und entschlossen sei Wulffs Stimme gewesen, das Vokabular kämpferisch. Die Botschaft, die vor allem für seine Frau bestimmt war: Für dich leg ich mich sogar mit der Bild-Zeitung an, der mächtigsten Macht im Lande. Es liegt etwas Machohaftes in diesen Drohgebärden, ein Zurschaustellen der eigenen Männlichkeit – so als gälte es, in der Disco einen Nebenbuhler in seine Schranken zu weisen.

Cool und unerschrocken möchte Christian Wulff wirken – und dabei mitunter gerade nicht präsidial. Zum Beispiel wenn er, wie nach der Wahl zum Bundespräsidenten geschehen, auf jener von Eventmanager Schmidt ausgerichteten Party auf dem Tisch stehend eine launige Rede hält: Seht her, was für ein lässiger Hund! Eine Lässigkeit, die sich nicht nur in seinem Umgang mit Geschenken zeigt, sondern auch im Umgang mit der Affäre. Frei nach dem Motto: „Was habt ihr denn alle? Jetzt macht euch mal locker!“

Nein, es geht bei dieser These weder darum, der Frau die Schuld zuzuschieben, noch um die Entschuldigung politischer Fehler. Es geht um die Möglichkeit einer Erklärung. Keine andere Präsidentengattin vor ihr habe so prägend auf das Staatsoberhaupt gewirkt, heißt es in der Frankfurter Rundschau . Der Eindruck: Da versucht einer in finanzieller und persönlicher Hinsicht etwas darzustellen, was er nicht oder nur teilweise ist. Da kämpft einer darum, wie er von dieser Frau wahrgenommen wird – und implizit um ein Bild von sich selbst: Der lässigste Bundespräsident, den Deutschland je hatte, will er sein. Einer, der in Jeans auf die Skipiste geht. Einer, der die Frau an seiner Seite verdient.

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
Contact request Lieber Philip Meinhold
Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 5 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 11 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 12 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 12 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 12 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 12 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 12 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 12 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 12 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 12 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 12 Jahren

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