zweifelturm
Freitag, 19. Dezember 2014
Die Akronymisierung des Abendlands

Was die Abkürzungswut über Pegida & Co verrät

„Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen.“ (Victor Klemperer)

Erst Hogesa, dann Pegida, inzwischen auch Dügida in Düsseldorf, Dagida in Darmstadt, Ogida in Ostfriesland sowie unzählige weitere Gruppen, deren klangliche Eintönigkeit nur minimal variiert und unter denen phonetische Abwandlungen wie Kögami (Köln gegen Asylmissbrauch und Islamisierung) oder Lagesa (Ladies gegen Salafisten – Untertitel: Seite an Seite mit unseren Männern) fast schon phantasievoll wirken.

Über die Akronymwut der „Abkü-Nazis“, wie Jutta Ditfurth sie nennt, ist in Medien und sozialen Netzwerken viel gespottet worden. So verwies Deniz Yücel in der taz auf die Multikulti-Supermärkte Özgida und Eurogida, die nicht nur lecker Rinderschinken und getrocknete Feigen in der Auslage hätten, sondern deren Einkaufstüten sich auch prima auf Gegendemonstrationen machen würden, und auf Twitter dürfte inzwischen so ziemlich jeder Pegida-Gegner mit einem eigenen satirischen Kürzel auf Klick-Jagd gegangen sein.

Neu ist dieses Parodieren politisch konnotierter Abkürzungen indes nicht: So haben Hitlers Generäle laut dem Historiker Gordon Craig ihren Vorgesetzten nach der Schlacht von Stalingrad als „Gröfaz“ verspottet – und mit dieser Kurzform von „Größter Feldherr aller Zeiten“ nicht nur den Führer, sondern auch die Vorliebe der Nazis für Abkürzungen karikiert. Denn diese gab es bereits während des Nationalsozialismus zuhauf: BDM, HJ, DAF, KdF oder – dem Pegida-Prinzip entsprechend eine Lautgruppe bildend, die sich als Wort aussprechen lässt – Schuma, Napola, Sipo, Gestapo, eine Liste, die sich noch eine ganze Weile fortsetzen ließe.

Fragt sich nur, welcher Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Abkürzungen und totalitärem Denken besteht, denn dass Sprache immer auch etwas über den Sprechenden verrät, ist eine Binsenweisheit: Es gibt das Behördendeutsch, die Sprache der Bürokratie, die sich mit Wortungetümen und Substantivierungen gegen alles Menschliche immunisiert; es gibt die Sprechblasen der Politiker, die reden, ohne etwas zu sagen – oder um es mit dem Schriftsteller Rolf Schneider zu sagen: „Sprache ist die Materie des menschlichen Denkens. Falsches Sprechen bezeugt falsches Denken.“

Bereits Victor Klemperer widmet der „Abbreviaturenmanie“ in seinem Buch LTI, in dem er die Sprache des „Dritten Reichs“ untersucht, ein Kapitel (und dass er für den Buchtitel auf die Kurzform von „Lingua Tertii Imperii“ zurückgreift, ist dabei durchaus Programm). Denn für Klemperer gehört die Abkürzung zu den hervorstechenden Charakteristika der LTI: „Kein vorhergehender Sprachstil macht einen so exorbitanten Gebrauch von dieser Form wie das Hitlerdeutsch. Das moderne Kurzwort stellt sich überall dort ein, wo technisiert und organisiert wird. Und seinem Anspruch auf Totalität gemäß technisiert und organisiert der Nazismus eben alles. Daher die unübersehbare Masse seiner Abbreviaturen.“

Zwar sei die Bildung von Kurzworten seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts aus kaufmännischen und industriellen Gründen überall in Europa in Mode gewesen, „sogleich kommt aber wieder etwas Deutsch-Autochthones ins Spiel. Die stärkste Organisation des kaiserlichen Deutschlands war das Heer. Und in der Heeressprache fanden sich seit dem Ersten Weltkrieg alle Abkürzungsarten und -motive zusammen, die knappe Bezeichnung für das technische Gerät und die Gruppe, das Geheimwort als Schutz nach außen und als Zusammengehörigkeit nach innen.“

Die Abkürzung als Code also, der dem Teilnehmer das wohlige Gefühl gibt, eingeweiht und damit Teil einer verschworenen Gemeinschaft zu sein. Gleichzeitig dient das Kurzwort der Verschleierung und Verharmlosung des Gemeinten: Ist der Name „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“ bereits in seiner vollen Schönheit ein Euphemismus für das plumpe „Ausländer raus!“ bekennender Rechter, so macht es die Verkürzung erst recht zum Diminutiv einer menschenfeindlichen Haltung.

Nichtsdestotrotz darf man die aufrechten Ausländerfeinde von heute natürlich nicht mit den Nazis von damals verwechseln, und der Fairness halber sei auch erwähnt, dass die sozialen Netzwerke mit ihrem Zwang zur Kürze die Schaffung eines knappen, einprägsamen Hashtags forcieren. Dennoch: Dass die wahre Absicht von Pegida und Co und die der Bewegung innewohnende Aggression nur notdürftig kaschiert und im Wortsinne abgeschnitten und unterdrückt wird, tritt bereits in der Form zutage. Wie wohltuend ist da doch ein aufrechtes, altmodisches „Kein Fußbreit den Faschisten.“

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
Contact request Lieber Philip Meinhold
Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 5 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 11 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 12 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 12 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 12 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 12 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 12 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 12 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 12 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 12 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 12 Jahren

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