zweifelturm
Montag, 6. Mai 2013
Mach‘s gut, kleine Bomberjacke!

25 Jahre haben wir zusammen verbracht, kleine Bomberjacke: Du warst die perfekte Übergangsjacke – ideal für die Tage, an denen es zu kalt für die Harrington war und zu warm für die Winterjacke. Wir waren zusammen auf Demos, Konzerten und bei Fußballspielen, ich bin mit Dir zur Arbeit gefahren und im Skiurlaub Ski.

Dabei stand unsere Beziehung anfangs unter keinem guten Stern. Gleich am ersten Tag wollten ein paar Jungs Dich mir abziehen. Tagsüber hatte ich Dich im Market, einem Szeneladen in einer Seitenstraße des Berliner Ku‘damm gekauft, abends war ich mit Dir in der Alten TU-Mensa auf Deinem ersten Konzert. Als wir anschließend vom Ku‘damm nach Hause liefen (eine Dreiviertelstunde Fußmarsch, damals fuhr die U-Bahn nicht durch), umringte uns auf halber Strecke eine Horde halbstarker Prolls: Ob ich was zu kiffen hätte? – „Tut mir Leid, alles weg.“ Ob ich Zigaretten hätte? – „Klar, bitte hier …“ Dann zückte einer ein Messer: „Los, zieh die Jacke aus!“ Dummerweise scheuerten meine ebenfalls neuen, halbhohen Docs so sehr, dass ich nicht weglaufen konnte.

Zum Glück zeigte der Wortführer der Prolls, der aus einem Imbiss zu unser kleinen Unterhaltung stieß, Erbarmen: Er zog mir den Reißverschluss hoch und ließ mich gehen; mit meiner neuen Bomberjacke und den scheuernden Docs springerstiefelte ich erleichtert nach Hause.

Von meiner Mutter ließ ich mir einen „Gegen Nazis“-Aufnäher auf den linken Unterarm nähen (was Mütter alles so machen!), ein paar Jahre lang warst Du mein treuer Begleiter. Doch irgendwann wurde mir das mit dem Aufnäher ein bisschen zu heikel, Du wandertest in den Schrank und ich ersetzte Dich durch eine gefütterte grüne Cord- und eine Lederjacke.

Bis ich Dich vor ein paar Jahren plötzlich wieder entdeckte. Ich machte den Aufnäher ab – Dich konnte man tragen! Wie früher waren wir unzertrennlich, noch vor zwei Tagen fuhr ich Dich, kleine Bomberjacke, mit meiner Vespa aus, als ich plötzlich zu frieren begann: Dein Reißverschluss war kaputt gegangen, auf diese dämliche Art, bei der er sich unterhalb des Zugs wieder öffnet. Oben und unten ist er geschlossen, während in der Mitte eine Lücke klafft.
Es ist wie beim Lieblings-T-Shirt, das nach Jahren ein Loch hat; wie bei den Jeans, die nicht mehr zu flicken sind: Von geliebten Kleidungsstücken Abschied zu nehmen, ist nicht leicht! Sie können wie eine zweite Haut für uns sein, mit der wir ausdrücken, was wir sind oder wie wir gern wären; sie geben uns ein bestimmtes Gefühl (Yeah, kleine Bomberjacke!).

Natürlich stellt sich die Frage, ob ich mir eine neue holen soll – aber so schön, wie mit Dir wird es sicher nicht mehr. Vielleicht ist es Zeit für was Neues. Für eine Lederjacke mit Fell auf den Schultern zum Beispiel oder für eine Baseballjacke. Vielleicht beginne ich endlich an der Punk-Kutte zu arbeiten, von der ich so lange träume. Denn, wie schon Christian Wulff vor seinem jüngsten Brillenkauf sagte: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, kleine Bomberjacke. Mach es gut!


Meine Bomberjacke mit Abi

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
Contact request Lieber Philip Meinhold
Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 5 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 11 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 12 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 12 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 12 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 12 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 12 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 12 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 12 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 12 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 12 Jahren

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