zweifelturm
Montag, 20. Mai 2013
Blick aus dem Fenster – ein Berlin-Triptychon

Wir treffen uns in L.‘s neuer Wohnung in der Cuvrystraße in Kreuzberg, zwischen Schlesischer Straße und Spree. Das Haus befindet sich gleich rechts neben dem neuen Standort des Kjosk, diesem zum Café und Kramladen umgebauten Bus; beim Blick aus L.‘s Wohnzimmerfenster sind wir begeistert. Wie im Urlaub fühle man sich hier, befinden wir. Das liege am freien Blick und dem vielen Himmel, sagt F. Vielleicht auch am Blick auf das Wasser.

In jedem Fall ist es ein Blick, der Einiges über das Berlin des Jahres 2013 erzählt. Links die Spree, mit dem klotzigen nhow-Hotel auf der anderen Seite des Ufers und der Deutschlandzentrale von Universal, die wie so viele Medien und Konzerne Anfang des Jahrtausends nach Berlin gekommen ist. Daneben eine Reminiszenz an das alte West-Berlin: Eingezwängt zwischen zwei Gebäuden entdecke ich jenes Kunstwerk aus übereinander gestapelten Absperrgittern, das im Sommer 1987 am Ku‘damm stand. Es trägt den Titel „13.4.1981“ und erinnert an eine Demonstration, bei der 200 Schaufensterscheiben zu Bruch gingen. Vor dem Gitterturm wachte damals jeden Tag ein Berliner, der mit einem Schild um den Hals gegen diese Verschwendung von Steuergeldern demonstrierte. Als 16-Jähriger habe ich so manchen Nachmittag vor dem Kunstwerk verbracht und begeistert den Diskussionen gelauscht, die sich entsponnen.

K., die Kunst studiert hat, sagt, für sie sei es eines der besten Kunstwerke über Berlin – heute würde es allerdings auch Einiges über Universal erzählen. Denn genauso wie die Installation dort zwischen zwei Gebäude gepresst sei, gehe der Konzern mit seinen Künstlern um, die sich seinen Bedürfnissen anpassen müssten. Auf ungute Art ironisch ist es allemal, dass ausgerechnet eine Firma, die teure Immobilienprojekte entwickelt, die Arbeit dort aufgestellt hat. Das Kapital hat sich die Kunst einverleibt, das neue Berlin das alte.


Blick auf Universal und das nhow-Hotel, ganz links Olaf Metzels Kunstwerk „13.4.1981“

Direkt vor L.‘s Fenster befindet sich eine riesige Brache, deren rückseitige Brandwand von zwei haushohen Graffiti des Streetart-Künstlers Blu bedeckt sind: Da ist zum einen ein Mann mit Krawatte und Armbanduhren, die ihm mit einer Kette die Hände fesseln; zum anderen zwei Figuren, von denen eine Kopf steht, und die sich gegenseitig die Masken vom Gesicht ziehen. Die Finger der jeweils freien Hand sind zu einem E und einem W geformt, was für Eastside und Westside steht.

Auf der Brache vor den Bildern stehen einige heruntergekommene Zelte; ein Lagerfeuer brennt, Menschen sitzen beisammen. Von hier oben sieht das Camp wie ein internationales Punktreffen aus, das ein wenig aus der Zeit gefallen ist. L. erzählt, das Zelt ganz vorne am Ufer sei erst kürzlich dazugekommen; es gehöre einem Punk, der mit einem Rollkoffer kam.

Auf der Brache sollte einst ein Einkaufszentrum entstehen, im vergangenen Jahr dann das umstrittene Guggenheim Lab sein Quartier beziehen. Beides scheiterte an Protesten. Nun gibt es Planungen für Büros, Läden und Wohnungen, und wie diese aussehen könnten, davon zeugt das Haus ganz vorne am Wasser. Die riesigen Balkone lassen auf jene loftartigen Wohnungen schließen, wie sie in Berlin gerade an jeder Ecke entstehen.

Cuvrystraße, Brache
Blick auf die Brache vorm Fenster

Der Blick nach rechts aus L.‘s Fenster schließlich führt zur Schlesischen Straße – in den Achtzigerjahren das Ende der westlichen Welt und auch in den Neunzigern halbwegs vergessen. Seit Mitte der Nullerjahre hat sich das geändert: Mit ihren Bars, Bistros, Clubs und Restaurants, deren Service erahnen lässt, dass man auf die Wiederkehr der Gäste nicht viel gibt, ist die Straße kaum wiederzuerkennen. Ein Laufsteg für Touristen und Partygänger.

L. berichtet, dass bei einem Freund, der in der Schlesischen Straße wohne, kürzlich mitten in der Nacht Spanier geklingelt hätten. Die Begründung: Sie hätten noch Licht gesehen. Wir lassen uns ein wenig über Touristen aus. K. erzählt von Stadtführungen auf ihrem Hof, F. ist froh, dass sie am Gesundbrunnen wohnt; da gebe es zwar keine Cafés, in die man gehen könne, aber dafür würde nachts niemand klingeln. L. kann dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen: Kürzlich habe sie unten auf der Straße ihr Rad repariert; das habe sich gut angefühlt zwischen all den Touristen. Nach dem Motto: Glotzt nur – ich lebe hier!

Im Grunde ist alles enthalten in diesem Blick aus dem Fenster: die hippen Medienkonzerne, die Lofts, die leicht verloren wirkenden Punks auf einer der letzten innerstädtischen Brachen. Das untergegangene West-Berlin, die Touristen, die Ausgehmeilen. Wie Zuschauer blicken wir durchs Fenster auf unsere Stadt, so als gehörten wir nicht dazu. Es ist irgendwie schrecklich und irgendwie schön – so schrecklich und schön wie Berlin.

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
Contact request Lieber Philip Meinhold
Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 4 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 9 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 10 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 11 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 11 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 11 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 11 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 11 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 11 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 11 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 11 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 11 Jahren

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