zweifelturm
Von Fans und Führern: Ein Artikel und seine Geschichte

Seit inzwischen zehn Jahren schreibe ich für die Wahrheit-Seite der taz – nicht des Geldes wegen, das ließe sich Klo putzend vermutlich schneller verdienen, sondern immer, wenn mir etwas am Herzen liegt. Wenn ein Thema mich überfällt und nicht mehr loslässt; wenn ich weiß, dass ich dazu etwas schreiben muss. Meist sind das ein oder zwei Artikel im Jahr – mir liegt nicht so viel am Herzen.

So war es auch bei meinem Text „Der ewige Israeli“, den ich Mitte Dezember schrieb – rund drei Wochen, bevor das Simon-Wiesenthal-Center mit seiner Liste der zehn ärgsten antisemitischen Ausfälle des vergangenen Jahres für Diskussionen sorgte. Ich ging am Strand von Ahrenshoop spazieren und dachte über einige vorgeblich israelkritische Texte nach, die ich in der vergangenen Zeit gelesen hatte, unter anderem von Jakob Augstein und Harald Martenstein. Mich nervten die Denk- und Sprachfiguren in diesen Texten, aber auch in der allgemeinen Nahost-Diskussion. In zehn Punkten versuchte ich, der Machart der Artikel auf die Schliche zu kommen. Denn so stereotyp wie der Inhalt war ihre Form.

Ich war mir nicht sicher, wie der Redakteur der taz meinen Artikel aufnehmen würde, denn bei diesem Thema weiß man nie so ganz, wie die anderen ticken. Es gibt Menschen, die ich mag und die intelligent sind, die in Sachen Israel recht merkwürdige Ansichten vertreten. Und es gibt Situationen, in denen ich die Auseinandersetzung vermeide, weil ich keine Lust auf eine Diskussion habe, die sowieso sinnlos ist. Denn das ist ja die Krux an der Sache: mit Intelligenz haben anti-jüdische Einstellungen und Ressentiments nichts zu tun.

Der Artikel sei sehr schön, antwortete der Redakteur, aber das werde Ärger geben. Oha, schrieb ich zurück. Was das heißen solle? Müsse ich mit Morddrohungen rechnen?
Nein, kleiner Scherz, versuchte der erfahrene Satiriker mich zu beruhigen. Meist sei es ja so, dass bei Themen, bei denen man Ärger erwarte, überhaupt nichts passiere.

Die Kommentare unter dem taz-Artikel lasen sich dann auch wie erwartet: Die Hälfte der Leser lobte den Text, die andere vertrat die Ansicht, ich wäre ein ahnungsloser Antideutscher mit Scheuklappen auf. Das beliebteste Gegenargument: Der Text würde Israelkritik tabuisieren – was ironischerweise Punkt 9 meiner zehn Schreibtipps war: „Behaupten Sie, man dürfe Israel nicht kritisieren, ohne als antisemitisch abgestempelt zu werden. Damit unterstreichen Sie zum einen Ihren eigenen Mut; zum anderen machen Sie Ihren Text unangreifbar, weil jegliche Kritik an ihm Ihre These bestätigt.“

Dieses behauptete Tabu ist natürlich keins. Erst kürzlich erschien eine wissenschaftliche Untersuchung, die besagt, dass über kein anderes Land so häufig und so kritisch berichtet werde wie über Israel. Und natürlich gibt es israelkritische Texte, die sich fundiert und argumentativ mit der Politik des Landes befassen, ohne antijüdische Ressentiments zu bedienen. Ohne es zu dämonisieren, deligitimieren oder doppelte Maßstäbe anzulegen – drei der wesentlichen Indikatoren, mit deren Hilfe zwischen legitimer Kritik an der Politik Israels und Antisemitismus unterschieden werden kann. Eine sachliche und scharfe Israelkritik ist also möglich und wird nicht zuletzt im Lande selbst gepflegt, wie der aktuelle Dokumentarfilm „Töte zuerst“ belegt. Wer sich bei seiner Kritik auf die zehn Punkte meiner satirischen Stilfibel angewiesen glaubt, dem ist nun wahrlich nicht mehr zu helfen.

Die Resonanz auf den kleinen Text jedenfalls war erstaunlich: Online war er der meistgelesene taz-Artikel der vergangenen drei Monate (übertroffen nur von einem Beitrag zum Thema Sex mit Tieren); er wurde auf Perlentaucher, Bildblog und leider auch dem rechtsextremen Blog „Politically Incorrect“ verlinkt. Er brachte das kleine Wunder zustande, sowohl von Henryk M. Broders „Achse des Guten“ als auch von Ken Jebsen zitiert zu werden. Wobei Jebsen eine sogenannte Gegendarstellung formulierte, die sich der Form meines Artikels bediente und mit den Worten „Jawohl, mein Führer!“ schloss – womit offensichtlich ich gemeint war.

Überhaupt diente die Form des Stil-Ratgebers als Blaupause für diverse andere Texte, zum Beispiel für das Blog Ruhrbarone, das seinerseits einen satirischen Schreibratgeber für islamfeindliche Texte verfasste. Vielleicht hätte ich mir die Form patentieren lassen sollen, dachte ich – oder ein Fernsehformat für Sonja Zietlow entwickeln: „Die zehn besten Schreibtipps für …“

Zum Beitrag der Ruhrbarone schrieb jemand auf Twitter, diese Islamfeindlichkeit gelte „leider genau für viele von Philip Meinhold‘s Fans“. Nun bin ich meinem Fanclub leider noch nie begegnet, aber falls es dazu kommt, kann ich ihm diesen Blog-Artikel gerne zeigen. Zwar fehlt mir ein wenig die Grundlage für diesen Text, denn außer in einer rechtsextremen Postille kann ich mir die meisten der aufgeführten Punkte kaum vorstellen. Aber natürlich: Vorurteile und Stereotype sind immer scheiße! Genau darum geht es doch.

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
Contact request Lieber Philip Meinhold
Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 5 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 11 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 12 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 12 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 12 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 12 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 12 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 12 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 12 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 12 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 12 Jahren

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