zweifelturm
Der Sommer (vor 25 Jahren), in dem ich Weltmeister wurde

"Nur eine Chance hatte ich: mich an das zu gewöhnen, was ich als Angriff erlebte." (Friedrich Christian Delius)

Im Sommer 1990 bestand ich das Abitur und Deutschland gewann die Fußball-Weltmeisterschaft – es war die perfekte Symbiose: Wir hatten keine Schule mehr und konnten uns der WM in vollem Umfang widmen; wir feierten, tranken und fühlten uns frei.

Ich erinnere mich an das Vorrundenspiel gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, das wir in der kleinen Weddinger Hinterhofwohnung meines Freundes Harry sahen, dem Einzigen von uns, der schon alleine wohnte. Vor dem Spiel vereinbarten wir, auf jedes deutsche Tor einen Schnaps zu trinken – Deutschland gewann 5 zu 1. Ich erinnere mich an das skandalträchtige Achtelfinale gegen Holland, bei dem Rudi Völler erst bespuckt wurde und dann vom Platz flog – hinterher trafen wir uns an der Weinbude auf dem Rüdi, spürten dem Adrenalin in unseren Körpern nach, echauffierten uns über Gegner und Schiri. Ich erinnere mich an das Elfmeterschießen im Halbfinale gegen England, nach dem wir „Diego, Diego – ha, ha, ha!“ rufend über den Breitscheidplatz zogen, voller Vorfreude auf das Finale.

Zwischendurch bekamen wir unsere Abschlusszeugnisse, fuhren auf Abifahrt, feierten unsere Abi-Party in der Diskothek Shugar, in einer Seitenstraße des Ku‘damm. Wir hatten das Gefühl, die Welt stünde uns offen – und wahrscheinlich war‘s so ja auch. Am Ende haben wir dann doch nur gemacht, was man halt so macht: Beim Abi-Scherz die Schultür mit Telefonbüchern verrammelt, Unmengen an Tequila und Bier in uns reingeschüttet; in den anschließenden Sommerferien fuhr ich mit meiner Freundin auf Interrail-Tour – die übliche Route über Paris und Biarritz an die Algarve –; als ich wieder zurückkam, war der kurze Sommer der Freiheit vorbei. Ich fragte mich, was ich mit meinem Leben anstellen sollte, das da so groß und gefährlich vor mir lag.

Und auch die Freude über den WM-Gewinn währte nicht lange, genau genommen war sie bereits eine halbe Stunde nach Spielschluss vorbei: Das Finale hatte swe Großteil unseres Abi-Jahrgangs in den Gemeinschaftsräumen der Wilmersdorfer Lindenkirche gesehen; anschließend fuhren wir mit der U-Bahn zum Ku‘damm. Bereits auf dem U-Bahnhof Rüdesheimer Platz drängten sich die Massen, irgendwer stimmte „Deutschland, Deutschland über alles“ an, immer mehr fielen mit ein. Als ich – mit einer DDR-Fahne ausgestattet – dazwischen pfiff, raunzte einer mich an: „Du hast hier janischt zu melden.“

Auf dem Ku‘damm angekommen, goss es in Strömen; angesichts des nationalen Taumels wollte ich nur noch weg. Die Schule beenden und Weltmeister werden – darauf hatte ich also meine ganze Kindheit und Jugend lang hingefiebert. Schöne Scheiße!

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taz verschickt Rechnungen für Sportfotos

Manchmal kommt die sympathischste Tageszeitung des Landes auf etwas merkwürdige Ideen. Seit rund zwei Jahren verpixelt die Sportredaktion der taz die Trikot- und Bandenwerbung auf den Fotos im Ressort „Leibesübungen“. Denn: „Die Sportredaktion ist der Meinung, dass parasitäre Werbung im Sportteil einer Zeitung nichts zu suchen hat, jedenfalls nicht in der taz. […] Bis jetzt dürfen Unternehmen in fast allen deutschen Zeitungen via Sportfoto kostenlos inserieren. Es wird von den Redaktionen und Verlegern geduldet. Was sich hier eingebürgert hat, ist nichts anderes als Werbepiraterie von Firmen, die sich das leisten können.“

Das Verpixeln als Maßnahme also, um auf eine fragwürdige Praxis aufmerksam zu machen. So weit, so gut. Doch was die taz nun macht, lässt sich durchaus kritisch hinterfragen: Eine Woche lang behandelt sie die Sportfotos wie Werbeanzeigen und stellt sie den werbenden Firmen wie Telekom, Red Bull oder – wie in der aktuellen Wochenendausgabe – Coca Cola zu den üblichen taz-Anzeigenpreisen in Rechnung.

Zwar wird (meiner laienhaften Einschätzung nach) wohl kaum ein Unternehmen diese Rechnung bezahlen. Schließlich gibt es weder einen Vertrag, noch wurde der Abdruck der Fotos respektive Werbung verlangt. Problematischer wäre allerdings, wenn ein Unternehmen bezahlt, denn das journalistische Gebot der Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten wäre damit gebrochen.

Zwar kennzeichnet die taz jeweiligen Fotos als „Anzeige“, trotzdem gehören diese in der Regel zu einem journalistischen Text. Woher soll der Leser also wissen, ob Foto und Text nicht nur erscheinen, weil ein Unternehmen dafür zahlt? Lassen sich damit womöglich sogar Spielberichte beeinflussen? Oder grundsätzlich gefragt: Könnte das Bezahlen von Fotos für Unternehmen nicht eine willkommene Methode sein, um sich in chronisch klammen Medien redaktionelle Berichterstattung für den gesponserten Verein zu sichern?

Sicher, alles nur ein Gedankenspiel (der „Zweifelturm“ ist übrigens gerne bereit, gegen entsprechende Gegenleistungen Sportfotos zu veröffentlichen, solange sie nicht Hertha BSC betreffen). Aber die von der taz im Grunde ja kritisierte Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten wird nicht dadurch besser, dass man dafür Geld nimmt.

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Die Schnapszahlgala von TeBe

Heute in der taz: Mein Artikel zum Schnapszahlgeburtstag von TeBe (inkl. Neukölln, Samantha Fox, Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, Werner Enke, vier Bier, einem Mexikaner und einem Sauren):

http://www.taz.de/!114358/

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
Contact request Lieber Philip Meinhold
Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 4 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 9 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 10 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 11 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 11 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 11 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 11 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 11 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 11 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 11 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 11 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 11 Jahren

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