zweifelturm
Die Mär von den bösen Medien

„Staatlich und wirtschaftlich gelenkter Dünnpfiff, der einfach streng nach Propaganda riecht. Ganz so doof ist der Michel nämlich doch nicht.“ (Online-Kommentar)

Nach den Politikern und Parteien – also „denen da oben, die mit uns ja eh machen, was sie wollen“ – hat der kleine Mann auf der Straße seit einiger Zeit ein neues Feindbild entdeckt: die Medien. Für die Rechten schon immer ein rotes Tuch – wahlweise Rot- oder Juden-Funk, in harmloseren Fällen eine von Alt-68ern unterwanderte rot-grüne Gesinnungspresse –, findet man nun auch in links-liberalen und bürgerlichen Kreisen die sogenannten „Mainstreammedien“ ganz schlimm.

Gleichgeschaltet oder ferngesteuert seien die, kann man in Online-Kommentaren und Foren lesen – und die öffentlich-rechtlichen Sender sowieso nichts anderes als ein zwangsfinanzierter Staatsfunk, der wie im Fall der Krim-Krise westliche Propaganda verbreite.

Eine Behauptung, die in ihrer Absolutheit und Pauschalität der Wahnwelt der Verschwörungstheorien entstammt. Dezidierter wird‘s denn auch selten: Wer genau ist mit den ferngesteuerten Medien gemeint? Die Verlagshäuser? Die Redaktionen? Der jeweilige Journalist? Und wie sieht die Gleichschaltung aus? Gibt es geheime Verträge? Schriftlich fixierte politische Richtlinien, an die sich jeder zu halten hat? Bei Missachtung Waterboarding im Büro des Chefredakteurs? Werden angehende Journalisten während des Volontariats Gehirnwäschen unterzogen? Und wer genau steckt dahinter: die jeweilige Regierung? Die Wirtschaft? Oder wie im Fall der Krim-Krise gerne unterstellt: die Amerikaner, deren imperialistische Gelüste selbstverständlich auch vor den deutschen Medien nicht haltmachen? Genauere Erklärungen zum Ablauf der Gleichschaltung sucht man vergebens.

Ich jedenfalls kann mich nicht erinnern, in zwanzig Jahren Tätigkeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jemals politische Vorgaben bezüglich Themen, Gesprächspartnern oder Aussagen bekommen zu haben. Ich musste mich nach Zielgruppen, dem Programmprofil und – häufig nervig genug – gerade angesagten redaktionellen Moden in Bezug auf Beitragslänge oder Umsetzungsformen richten, aber politischer Einfluss auf die Inhalte? Mal ganz davon abgesehen, dass es mehr als unwahrscheinlich wäre, wenn eine derartige Manipulation bei rund 80.000 festen und freien Journalisten in Deutschland nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommen würde.

Und was die vermeintliche Propaganda angeht: Es waren westliche Medien, die die Enthüllungen Edward Snowdens, der von nicht wenigen Medienkritikern als Held verehrt wird, in die Öffentlichkeit gebracht haben. Holger Stark und Marcel Rosenbach, die das Thema „NSA“ für den Spiegel recherchierten und unter anderem das Abhören von Merkels Handy öffentlich machten, wurden gerade erst als „Journalisten des Jahres“ geehrt – soweit her kann es mit der Steuerung der Medien durch die Amerikaner also nicht sein. (Wobei selbstverständlich zu bedenken ist, dass die Auszeichnung auch nur zur Ablenkung verliehen worden sein könnte und auch Merkels Handy womöglich gar nicht abgehört wurde, um so die Unterwanderung der deutschen Medien durch den US-Imperialismus zu kaschieren …)

Auch bei der Berichterstattung zur Krim-Krise hat noch in jeder der unzähligen Talkshows zum Thema vom russischen Botschafter über den unvermeidlichen Peter Scholl-Latour bis hin zu Gregor Gysi ein Verteidiger der russischen Politik Platz gefunden. Und wem der Tenor der meisten Medien in diesem Fall nicht passt, der kann immer noch die Texte Jakob Augsteins auf einer der weitreichenstärksten deutschen Nachrichtenwebsites lesen, deren Miteigentümer Augstein ist.

Nicht, dass es an den Medien nichts zu kritisieren gäbe: Da ist jene Skandal- und Schlagzeilenfixiertheit, die dazu führt, dass vermeintliche „Aufreger“ in immer kürzerer Zeit durchs mediale Dorf getrieben werden; da sind die Liveticker-Auswüchse der Online-Medien, wie sie der Medienjournalist Stefan Niggemeier kürzlich kritisierte (dessen Blog im Übrigen einen guten Überblick über kritik- und diskussionswürdige Entwicklungen in den Medien gibt). Da sind Fernseh-Talkshows, die nach dem immer gleichen Schema, mit den immer gleichen Gästen und Themen funktionieren und deren Erkenntnisgewinn in der Regel gering ist. Dies alles hat jedoch nichts mit Gleichschaltung oder politischer Steuerung zu tun, sondern eher mit den Veränderungen der Medienlandschaft an sich und mit dem Markt, in dem sich die Medien bewegen.

Das Problem: Die Behauptung, die deutschen Medien wären gleichgeschaltet, steht der berechtigen Kritik an ihnen im Weg, weil sie die wahren Ursachen und Probleme negiert. Wie alle Verschwörungstheorien ist sie regressiv und verschließt sich einer auf Veränderung zielenden Analyse.

Natürlich gibt es den Versuch politischer Einflussnahme. Die Absetzung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender durch die Unions-Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat sorgte für einen Skandal; in der Folge hat das Bundesverfassungsgericht die Macht von Politikern in Fernseh- und Rundfunkräten begrenzt. Es gibt Anrufe von Politikern in Chefredaktionen, mit der Absicht, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen – was jedoch, wenn es rauskommt, jedes Mal zu einem veritablen Eklat führt und als verwerfliche Ausnahme von der Regel zeigt: Im Großen und Ganzen funktioniert das mit der Pressefreiheit hierzulande ganz gut.

Bei aller berechtigter und notwendiger Kritik – und auch wenn es fast peinlich ist, dies zu sagen: Wir haben in Deutschland vermutlich eine der besten und vielfältigsten Medienlandschaften der Welt, wo von Junger Freiheit bis Junger Welt noch jeder den Schwachsinn lesen kann, der seine Vorurteile am besten bestätigt.

Am liebsten möchte man all jene, die im Internet munter von der Gleichschaltung der deutschen Medien fabulieren, mal zu einem halben Jahr Berlusconi-Fernsehen und Putin-Presse verdonnern. Aber vermutlich würde selbst das nichts ändern – es muss einfach ein wahnsinniger Reiz darin liegen, sich von höheren, undurchsichtigen Mächten ständig verarscht und verfolgt zu fühlen. Ganz so schlau ist der Michel dann doch nicht. Aber glücklicherweise ist auch dies von der Meinungs- und Pressefreiheit hierzulande gedeckt.

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Küss den Richter!

Eine Woche vor der großen NSU-Prozess-Akkreditierungslotterie schrieb ich einen kurzen Text darüber, wie das Ergebnis aussehen könnte. Dies war weniger als Vorhersage gedacht denn vielmehr als satirisches Gedankenspiel, was so alles passieren könnte. Nun bleibt festzuhalten, dass es das Münchner Gericht mit seinem mangelnden Fingerspitzengefühl der Satire nicht leicht macht: Statt Radio Arabella berichtet Charivari, statt Junger Freiheit die Junge Welt, statt „Bild der Frau“ die Brigitte. Das Grundprinzip meiner Vorhersage ist ziemlich genau erfüllt.

Das Ergebnis hätte kaum weniger absurd aussehen können, wenn man die Plätze statt durch Losverfahren nach Schönheit der Reporter vergeben hätte (ermittelt durch eine unabhängige Expertenjury in der vorab ausgestrahlten Fernsehshow „Germanys Next Top Reporter“ zum Beispiel) oder durch eine Runde Kusseinkriege: Wer es schafft, den Richter zu küssen, erhält einen Platz.

Bleibt die Frage, wie man sich nun informieren soll (vor allem für jene, die immer wieder gern betonen, dass sie keine „GEZ-Gebüren“ zahlen wollen, weil sie die Öffentlich-Rechtlichen sowieso nicht nutzen): RTL2-Nachrichten schauen? Die Hintergrundberichte der Brigitte lesen? Oder doch lieber versuchen, ob man Radio Lotte übers Internet im Livestream bekommt?

Bei Wikipedia las ich, dass das Weimarer Bürgerradio eine zum mobilen Sendestudio umgebaute Rikscha betreibt. Vielleicht können sie damit auch durch die Gegend fahren, sodass immer ein paar andere Hörer sie hören können. Das hätte dann was vom Ausrufer im Mittelalter. Soll keiner sagen, die Öffentlichkeit würde nicht informiert.

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Last modified: 20.01.20, 13:07
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Kommentare
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Wie könnte ich Sie per Email erreichen? Ich heiße Omer...
Oliverfunk, vor 5 Jahren
Oh, vielen Dank! Das freut
mich - und ich hoffe, das Buch hält dem...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
als spross eines naziclans
hab ich jahrzehntelang meinen schuldkomplex abgearbeitet war 1987 zwei wochen...
wilhelm peter, vor 10 Jahren
Moabit Ich verstehe den Hintergrund
für den Artikel sehr gut. Dennoch bleibt zu behaupten, die...
Mario Murer, vor 10 Jahren
Hach, ja! Schön, war's!
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Randnotiz: Der Plus in
der Stromstraße, 2002
Mama, vor 10 Jahren
Ja. Beknackt
ist ja auch, daß in den Townhouses die Wohnungen plötzlich senkrecht statt...
stralau, vor 10 Jahren
ich kenne keinen Investor, der
bereit ist, großzügige Räume im historischen Bestand (etwas Dachräume)...
Kalkspazz, vor 10 Jahren
Können Sie nicht in den
Schrank der Großeltern ziehen? Dann sind die Sachen auch...
philipmeinhold, vor 10 Jahren
Ja! Ja! Ja! Hier in
Frankfurt gibt es ja das neue "Europaviertel", von mir...
andreaffm, vor 10 Jahren
ja es ist auch gutes
übriggeblieben man erkennt an dem posting allzudeutlich dass nicht...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
bin 60 und ziehe mir
den schuh an selten so gelacht tolle polemik lsd...
wilhelm peter, vor 11 Jahren
Oh, nein! Das kommt davon,
wenn man aufgehört hat, das Kino-ABC nach Hitchcocks zu...
philipmeinhold, vor 11 Jahren
"Blackmail" "Blackmail" lief am 28.
Juni 2011 im Babylon Mitte mit Live-Orgelbegleitung. Großartig!
donegal68, vor 11 Jahren
unabhängigkeit Hallo Herr Meinhold,
leider beleuchtet auch ihr hier verfasster Artikel die Problematik nicht wirklich....
medionso, vor 12 Jahren
Wir brauchen einen ÖR... ...
aber diesen nicht. Siehe die Beiträge oben. Ich bin überhaupt...
uessen, vor 12 Jahren
Nein... Nein, nein, nein! Mein
persönliches Nutzungsprofil des ÖR ist ziemlich überschaubar: Von selber eigentlich...
Enter, vor 12 Jahren
Alternativen Hallo Herr Meinhold !
Ich kann Abhilfe schaffen, um die Angst vor Tellerrändern (und...
rugay, vor 12 Jahren
Meinen Sie diesen Schönenborn? http://www.politaia.org/internet-und-medien/putin-lasst-gez-schonenborn-auflaufen/
Ich kann GEZ-Steuern mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Ihr Beitrag...
Infoliner, vor 12 Jahren
Die Graffiti-Analogie verstehe ich nicht.
Zur "Verbeamtung": Das ist ja ebenfalls eines der Vorurteile...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
Betriebsblind. Die Leute regen sich
nicht über die sagenhafte Programmvielfalt eines Qualitätsmediums auf, sondern, über...
Scriptmaster, vor 12 Jahren
Ihre Ausführungen ähneln denen eines
15-Jährigen, der bei seiner "Grafitti-Kunst" erwischt wurde und nun...
bernd23, vor 12 Jahren
Und damit sind die GEZ-Hasser
dann in der Gesellschaft, die zumindest die undifferenzierte Kritik...
philipmeinhold, vor 12 Jahren
derselbe Fehler "Und dafür zahle
ich GEZ!" ist also nicht hilfreich und reichlich abgedroschen? Gleiches...
ThomasL, vor 12 Jahren
ich mach mir die welt
wie sie mir gefällt.. aus pipi langstrumpf,eine serie die ich...
neuheide, vor 12 Jahren

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